„Entwicklung von Lebenswerk Zukunft hat mich mehr als überrascht“
Herr Reuther wie kamen Sie auf die Idee einer CaritasStiftung mit Stiftungen in treuhänderischer Verwaltung?
Ein wichtiger Schlüssel für mich war eine sehr inspirierende Studienreise von Verantwortlichen der Caritas nach Chicago im April 1997. Die durfte ich als damaliger Bereichsleiter für Kommunikation und Marketing initiieren und leiten. Das Hauptziel unserer sehr gemischten Gruppe aus einer Caritasdirektorin, Sozialarbeiter*innen, Abteilungsleitungen und Fachreferent*innen war es, über den Tellerrand zu schauen und neue Anregungen für unsere Arbeit zu bekommen.
Das scheint ja gut geklappt zu haben …
Ja, die Reise war sehr anregend. Wir sahen im Bundesstaat Illinois und in Chicago große menschliche und materielle Nöte, für die sich der Staat nicht verantwortlich zeigte, wie das hierzulande der Fall ist. Wir erlebten aber auch sehr originelle, wirksame Ansätze sozialer Arbeit, die auf einer individuellen Initiative Einzelner, Gruppen, Verbänden und Kirchen beruhte. Das war sehr interessant für uns.
Und wir sahen auch, was Stiftungen bewirken können. Mir war schnell klar, dass wir einen Verbund von Stiftungen auch bei uns brauchen als dritte Säule neben Refinanzierungen aus öffentlichen Zuschüssen, Leistungsbeiträgen und Spenden.
Und wie hat sich aus diesen Gedanken Lebenswerk Zukunft entwickelt?
Ein Gedanke war zentral: Wir dürfen nicht aus der Logik unserer Organisationen denken, sondern aus der Logik derer in der Gesellschaft, die etwas gestalten und dazu etwas beitragen wollen. Vor allem Menschen, die große Beträge einbringen, wollen entscheiden, wie ihr Kapital verwendet wird. Für solche Konstellationen bieten sich Stiftungen an. Denn dort sind viele Gestaltungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten gegeben. Dieses Denken war neu.
Zusätzlich sind Stiftungen auch eine Form, ein eigenes Lebenswerk weiter in die Zukunft führen, indem der Name und eigene wichtige Anliegen über eine Stiftung erhalten bleiben und leben. Das ist ein wichtiges Motiv von Stifterinnen und Stiftern, dem wir Rechnung tragen müssen.
Diese Herangehensweise stieß sicherlich nicht überall auf große Begeisterung, oder?
Ja natürlich nicht. Das ist auch nachvollziehbar. Denn Organisationen wie der kirchliche Wohlfahrtsverband Caritas und auch staatliche Stellen müssen planen. Sie müssen über die Hoheit verfügen, wo Schwerpunkte gelegt und wie die Prioritäten gesetzt werden. Eigen-sinnige Stifterinnen und Stifter mit ihren Stiftungen passen nicht in eine solche Denkstruktur. Und das ist ja auch wichtig und richtig: Stiftungen können und dürfen nie staatliches Handeln oder das strukturelle Engagement von sozialen Organisationen ersetzen. Denn Stifterinnen und Stifter sind nicht die Lückenbüßer der Nation. Sie sind vielmehr Lückensucher und Lückengestalter. Sie greifen Themen auf, die bisher noch nicht oder nicht umfassend genug bearbeitet werden. Sie starten neue innovative Projekte oder sie organisieren Unterstützung für Menschen, die durch alle Raster fallen. Wenn dieser Grundsatz beachtet wird, dann sind Stiftungen segensreiche Einrichtungen und wichtige gesellschaftliche Akteure.
Was gab den Ausschlag dazu, Lebenswerk Zukunft zu gründen?
Die Verantwortlichen in der Caritas Rottenburg-Stuttgart hat der Gedanke überzeugt, dass sie Wege eröffnen müssen, wie sich Menschen für soziale Zwecke engagieren können, auch wenn sie nicht den Caritas-Spendentopf bedienen wollen. Menschen an der Seite zu wissen, die mit ihrem eigenen Sinn, also mit ihrem "Eigensinn" Verantwortung übernehmen in der Kirche, in der Caritas und im Sozialstaat, das ist der Königsweg der Stiftungen.
Darüber hinaus gab es um das Jahr 2000 aufgrund einer staatlichen Finanzkrise massive Kürzungen im Sozialbereich. In der Zeit ist die Einsicht gewachsen, dass es langfristig verschiedene Finanzierungsinstrumente für die Weiterentwicklung der sozialen Arbeit braucht. Stiftungen können einen Teil dazu beitragen.
Eine wichtige Rolle hat gespielt, dass von einem frühen Zeitpunkt an Know-how in finanziellen Fragen von Vorstand Wilhelm Dannenbaum eingeflossen ist. Er war vor seinem Ruhestand im Bankensektor an verantwortlicher Stelle tätig. Mit Steffen Heil, dem damaligen Geschäftsführer des Instituts für Social Marketing, verfügten wir über einen sehr kompetenten Berater in Fragen des Marketings. Steffen Heil sorgte nicht zuletzt dafür, dass wir mit dem Namen "Lebenswerk Zukunft" einen Volltreffer landen konnten.
Haben Sie die Entwicklung erwartet, die Lebenswerk Zukunft dann genommen hat?
Ehrlich gesagt, in dieser Dimension: Nein. Auch bei mir persönlich hatte sich zu Beginn die Einstellung gegenüber den Stifterinnen und Stiftern gewandelt. Mein Ausgangspunkt war es, Gelder für wichtige soziale Projekte zu gewinnen. Daraus wurde immer mehr die Grundidee, dass wir Menschen unterstützen, die mit ihrem Vermögen ein soziales Anliegen verfolgen, das ihnen wichtig ist. Das halte ich für einen großen Auftrag der Caritas!
Mehr als überrascht bin ich auch von der zahlenmäßigen Entwicklung. Dass sich jetzt nach knapp 20 Jahren schon fast 100 Stiftungen auf dem Fundament von Lebenswerk Zukunft gegründet haben mit einem beachtlichen Finanzvolumen, hatte ich so nicht erwartet.
Und Sie haben ja auch sehr unerwartete Geschichten erlebt!
Auf alle Fälle. Es waren viele! Zum Beispiel kam kurz nach den ersten Presseberichten über die zu gründende Kinderstiftung Ravensburg eine Frau zum Oberbürgermeister und legte ihm 100.000 Euro auf den Tisch. Sie wollte anonym bleiben. Ein beträchtliches Startkapital kam somit hinzu und der Oberbürgermeister war der Kinderstiftung ab sofort sehr gewogen. Sehr oft überrascht wurde ich von Stifterinnen und Stifter, die zunächst etwas Sinnvolles mit ihrem Kapital gestalten wollten. Dann sind sie über sich hinausgewachsen und haben ganz neue Ansätze entwickelt.
Was wünschen Sie Lebenswerk Zukunft für die kommenden Jahre?
Folgender Leitgedanke soll erhalten und weiterentwickelt werden: Lebenswerk Zukunft unterstützt und begleitet Stifterinnen und Stifter, damit sie als Teil der Caritas, wie es der Gesetzgeber sagt, "gemeinnützig und mildtätig" wirken können. Stiftungen der Caritas sollen weiterhin als Zeichen der Hoffnung und der Versöhnung wahrgenommen werden und wirken.
Herr Reuther, vielen Dank für dieses anregende Gespräch und weiterhin alles Gute für Ihren Un-Ruhestand!
Zur Person
Thomas Reuther ist Diplom-Verwaltungswirt (FH). Er war ab 1980 Flüchtlingsreferent der Caritas, dann Abteilungsleiter für Soziale Dienste und Sozialpolitik, danach Bereichsleiter für Kommunikation und Marketing. Von 2003 bis 2009 war er Geschäftsführender Vorstand von Lebenswerk Zukunft. Seit Ende 2009 ist er im Ruhestand. Er begleitet verschiedene soziale Organisationen wie die Keppler-Stiftung beratend.