Alles begann mit der Aufwandsentschädigung. Zehn Euro standen Antonie Hanninger und ihren Mitstreiterinnen pro Einsatz im Sonntagscafé des Pflegeheims St. Lukas in Wernau eigentlich zu. Doch Hanninger und ihr Café-Team wollten ehrenamtlich für andere da sein. Sie wollten kein Geld. Mit den Jahren und Jahrzehnten füllte sich die Aufwandsentschädigungs-Kasse immer weiter. 2011 waren - inklusive Trinkgeldern - stattliche 3000,65 Euro zusammengekommen. So entschloss sich die Gruppe um die damals 83-jährige Antonie Hanninger, das Geld dem Pflegeheim St. Lukas zu spenden. Vielleicht für einen neuen Sessel.
An dieser Stelle kam Thomas Reuther, früher geschäftsführender Vorstand der CaritasStiftung in der Diözese, ins Spiel. Er riet der rüstigen Rentnerin, doch eine Stiftung zu gründen. Nach anfänglichem Zögern ("Ich dachte, ich brauche einen Riesenbetrag für eine Stiftung.") und nach einer kräftigen Aufstockung der Summe funktionierte die Idee. Die Stiftung mit dem Namen "Lebensfreude - Lebensqualität und Würde in St. Lukas und in Wernau" fördert seitdem Bewohnerinnen und Bewohner im Pflegeheim St. Lukas und in der Stadt. Und zahlreiche Menschen haben seitdem kleine und große Beiträge hinzugestiftet.
Schreckliche Erlebnisse im Krieg prägten das junge Mädchen
Eine Wurzel von Antonie Hanningers sozialem Engagement liegt in ihrer Vergangenheit. Als elfjähriges Mädchen erlebte sie den Kriegsausbruch und in der Folge viel Schreckliches: Der Nachbarsjunge fiel, ihr Bruder kam ohne rechten Arm zurück, eine Frau aus der Nachbarschaft verlor beim Fliegerangriff ihr Baby, das sie in ihren Armen hielt. Wenn der NSDAP-Ortsgruppenleiter durchs Dorf ging und die Todesnachrichten von der Front überbrachte, nahm die Mutter ihre Antonie an der Hand, kniete vor dem Kreuz nieder und betete unter Tränen für die betroffenen Familien. Noch heute muss Antonie Hanninger weinen, wenn sie davon erzählt. Diese Erlebnisse machten sie zur Friedensaktivistin. Sie engagierte sich bei Pax Christi und in der Friedensbewegung bis zum heutigen Tag. Sie campte in Mutlangen und stellte sich am 22. Oktober 1983 auf der B10 in Plochingen in die 108 Kilometer lange Menschenkette zwischen Ulm und Stuttgart, um gegen die Stationierung der Pershing II zu protestieren.
Stärker noch als das Engagement für den Frieden war immer Hanningers Engagement für Menschen in Not. Ehrenamt - das Wort ist im Leben der noch immer rüstigen Seniorin, Jahrgang 1928, Programm. Als müsse sie sich dafür entschuldigen, sagt sie: "Mein Mann hat mich immer unterstützt. Ich bin ihm so dankbar, dass er mir das alles ermöglicht hat." Er hielt seiner Frau während ihrer gesamten Ehe den Rücken frei. 66 Jahre lang.
Deutsch-Unterricht für "Gastarbeiterkinder" organisiert
Und sie revanchierte sich dafür mit einem sozialen Engagement sondergleichen: Schon mit 14 Jahren, mitten im Krieg, leitete die junge Antonie die örtliche Mädchengruppe. 1973 gründete sie in ihrer Heimatgemeinde St. Erasmus die Arbeitsgemeinschaft "Sprachhilfe für ausländische Kinder". Die Kinder der sogenannten "Gastarbeiter" sprachen kaum ein Wort Deutsch. In der Schule hätten sie so keine Chance gehabt. Hanninger sah die Not - und organisierte: 15 deutsche Hausfrauen ließen sich zu Sprachhelferinnen ausbilden und unterrichteten die Kinder. Im Lauf von mehr als 20 Jahren lernten so über 4000 Kinder Deutsch. Ein Nebeneffekt: Die Sprachhilfe förderte die Verständigung zwischen deutschen und türkischen Mitbürgern in der Stadt. Der Deutsch-türkische Frauenkreis wurde gegründet. Auf den monatlichen Treffen wurden aktuelle Probleme besprochen - von Frau zu Frau. Und die Kontakte bestehen bis heute.
Vor der Gerichtsverhandlung in der Kirche gebetet
Antonie Hanninger leitete den Caritas- und Sozialausschuss in St. Erasmus und war Vorsitzende des katholischen Frauenbunds. Vor jedem - ehrenamtlichen - Einsatz als Schöffin am Landgericht Stuttgart betete sie in St. Eberhard um "Weisheit und den Geist des Rates", um die richtige Entscheidung zu treffen.
"Als 1984 St. Lukas gebaut wurde, war mir klar, dass ich da reingehe", so Hanninger heute. Obwohl damals die Vorbehalte in der Gemeinde groß waren gegen das "Abgeben von alten Menschen" in ein Heim. Dies war für viele keine Alternative zur Pflege in der Familie. Antonie Hanninger gründete das Sonntagscafé in St. Lukas und gab den einsamen alten Menschen und ihren Angehörigen damit eine Art Heimat, eine Möglichkeit des Austauschs. Seit damals wird beispielsweise die "Herbergssuche im Advent", eine alte Tradition der Gemeinde, in St. Lukas gefeiert. Antonie Hanninger gewann 36 Ehrenamtliche für den Besuchskreis, die - dem Kirchenjahr und der Jahreszeit entsprechend - geistige, religiöse und heitere Feiern veranstalteten, Ausfahrten und Ausflüge organisierten und Bewohner trösteten. 25 Jahre leitete sie den Kreis.
Stiftung sichert Vorsorge, Fürsorge und Nachhaltigkeit
Oft zitiert sie das Pauluswort "Lebt nicht an den Aufgaben vorbei, die die Zeit euch stellt". Dies sei für Christen nicht ins Belieben gestellt, sondern sei Auftrag und Motivation zum Handeln. Diese Motivation führte letztlich auch zur Gründung der Stiftung. Gleichzeitig solle, so das Modewort, auch "nachhaltig" gehandelt werden. Die Stiftung "Lebensfreude, Lebensqualität und Würde in St. Lukas und Wernau" treffe Vorsorge. Und Vorsorge sei das Geschwisterwort von Fürsorge, Fürsorge von Nachhaltigkeit. Ihr Credo bei allem, was Antonie Hanninger anfasste: "Wichtig ist, dass man nicht nur etwas aufbaut, sondern auch aktiv mitarbeitet. Als meine Projekte gelaufen sind, habe ich sie auch wieder abgeben können." Den Erfolg dieser Einstellung bestätigte sogar der Papst: Im Juli 2013 zeichnete Franziskus Antonie Hanninger für ihr Engagement mit dem päpstlichen Ehrenzeichen "pro ecclesia et pontifice" aus.
Spontane Entscheidung für die Frau mit dem Baby aus Kamerun
Selbst daheim betrieb die rüstige Seniorin, die ihre Worte wohl wägt, Seelsorge im besten Sinn: Nachbarn, Freunde und ungezählte Menschen von irgendwoher saßen im Laufe der Jahrzehnte auf ihrem Sofa, schütteten ihre Herz aus und hofften auf Rat und Trost. Und Antonie Hanninger tat, was sie immer tut in solchen Fällen: Sie versuchte zu helfen. Dies geschah bisweilen auch spontan, wie bei der Vermietung einer Wohnung: An einem kalten Wintertag stand eine junge Frau aus Kamerun vor der Tür mit ihrem kleinen Kind im Arm. Antonie Hanninger überlegte nicht lange und nahm die beiden Menschen bei sich auf.