Dieses seelsorgerische Engagement hatte bereits nach Schobels Vikariat begonnen. Damals wurde er Jugendpfarrer der Christlichen Arbeiterjugend (CAJ). Diese Zeit prägte seine politische Ausrichtung nachhaltig. Heute sagt er: "Ich weiß nicht, was sonst mit mir passiert wäre." Ende der 60er Jahre wurde er erster kirchlicher Berater der Kriegsdienstverweigerer, begleitete Hunderte junger Männer, war über 200 mal vor dem Ausschuss. Dieses Engagement machte den Verfassungsschutz auf ihn aufmerksam. Und bei einer Tagung in der Katholischen Akademie saß ein Mitarbeiter des Militärischen Abschirmdienstes heimlich im Technikraum, als Schobel sprach. Wahrscheinlich trugen die Observationen dazu bei, dass ihn die Deutsche Bischofskonferenz 1972 nicht zum Bundeskaplan der Christlichen Arbeiterjugend wählte.
Vom Verfassungsschutz beobachtet - von den Bischöfen abgelehnt
Nach der Zeit bei der CAJ hing Schobel nach eigenen Worten "ein halbes Jahr in der Luft". Dann, an einem schönen Sommerabend, als Schobel im Garten der Bildungsstätte in Wernau saß, rief plötzlich Bischof Carl Leiprecht persönlich an. Er teilte seinem Pfarrer mit, er solle eine Gemeinde in Heidenheim übernehmen. Und da geschah das Unfassbare: Schobel lehnte ab. In den Konflikt solidarisierten sich schließlich 40 Pfarrer mit Schobel. Beim Bischof setzten sie sich dafür ein, dass er zu Weihnachten 1972 beauftragt wurde, sich für die Belange der Arbeitnehmer einzusetzen. Das war der Startschuss zur Schobelschen Karriere an der Seite der Arbeiter.
Als eine seiner ersten Amtshandlungen schlich sich Paul Schobel inkognito ,als "Student" getarnt, beim Daimler ein und stellte sich wie alle anderen ans Fließband. Die ersten Eindrücke waren schockierend für den jungen Geistlichen: "Wir wurden behandelt wie der letzte Dreck. Das war sagenhaft." Als seine Tarnung nach zwei Wochen aufflog, erschien sofort der Meister, entschuldigte sich wortreich für die schäbige Behandlung und wollte Schobel auf einen ruhigeren Posten abschieben. Wieder sagte Schobel nein. Und blieb am Band.
"Wir wurden behandelt wie der letzte Dreck"
Um den Arbeitern in ihrer Not eine Stimme zu geben, gründete der umtriebige Seelsorger einen "Daimler-Treff". Dieses Gesprächsangebot nahmen immer mehr Arbeiter an - und zogen so den Unwillen von Gewerkschaft und Betriebsrat auf sich. Erste Konsequenz: Sie flogen aus den Wahllisten für den Betriebsrat. Paul Schobel selbst wurde mit seinem Treff immer mehr zur Konkurrenz für den Betriebsrat. Ein katholischer Priester, der am Band schaffte und bei den Arbeitern ankam? Das war den Arbeitnehmervertretern zutiefst suspekt.
Doch den größten Coup landete Schobel erst nach seinem Ausscheiden: Gemeinsam mit zehn Daimler-Beschäftigten, die anonym blieben, schrieb er ein Buch über die Zustände am Band. Und das gab dann mal so richtig Ärger! Mit Arbeitgeber und Betriebsrat. Was Schobel schützte: Das Vorwort zu seinem Buch hatte ausgerechnet IG-Metall-Boss Franz Steinkühler geschrieben. Das setzte zumindest die Gewerkschaft matt. Der Betriebsrat dagegen kochte vor Wut. Er beschimpfte Schobel auf einer Konferenz der Vertrauensleute öffentlich als "größten Lügner im ganzen Landkreis", bevor zwei muskelbepackte Saaldiener den Priester nach draußen schleppten.
IBM führt Sonntagsarbeit ein - "Wir haben dagegen gekämpft wie die Wilden"
In den 80er Jahren wurde Thema Arbeitslosigkeit auch im kirchlichen Raum akut. "Irgendwann ist es bis an den Altar herangekommen", so Schobel. Als IBM Mitte der 80er Jahre Sonntagsarbeit einführen wollte, "haben wir dagegen gekämpft wie die Wilden", so der 80-Jährige. Als es schließlich zur Betriebsschließung - trotz Sonntagsarbeit - kam, organisierte die Betriebsseelsorge tonnenweise altes Geschirr, das die Entlassenen vor der Böblinger Konzernzentrale in Böblingen zertrümmerten. Den gewaltigen Scherbenhaufen schmückten sie mit roten Nelken, der Blume der Arbeiterbewegung. Paul Schobel sagt dazu: "Wir haben den Menschen geholfen, sich mit aufrechtem Gang zu verabschieden." Bei solchen Aktionen erfuhr er immer wieder zweierlei: einerseits eine große Hilflosigkeit, andererseits eine riesige Solidarität. Der Priester im Unruhestand formuliert das heute so: "Global betrachtet stehen wir fast immer auf der Verliererseite. Aber ich empfinde das nicht so, weil wir immer auf der Seite der Menschen stehen."
Thomas Reuther, damals Geschäftsführer von Lebenswerk Zukunft, überzeugte Schobel schließlich, sein Herzensanliegen in Form einer Stiftung zu verfolgen. Zu seinem 65. Geburtstag am 29. Juni 2004 gründete der Betriebsseelsorger die Stiftung "Arbeit und Solidarität" mit 50.000 Euro Startkapital, das er sich im Laufe seines Lebens durch Honorare zusammengetragen hatte ("das Geld gehört ja nicht mir"). Die Stiftung unterstützt Arbeitslose, wenn alle Möglichkeiten des Hilfesystems ausgeschöpft sind, und sie ermöglicht innovative Projekte, die die Arbeit der Betriebsseelsorge verbessern. Dazu gehört beispielsweise die Burnout-Beratung in Aalen, das Pflegebündnis in Ulm oder das Projekt "Mira" in Stuttgart, das Flüchtlinge über ihre Rechte aufklärt. Die Stiftung beschert der Betriebsseelsorge mehr Handlungsspielraum. Und den nutzt diese vor allem für die Unqualifizierten und Ungelernten, die wegen Modernisierung, Digitalisierung und Spezialisierung nicht mehr gebraucht werden. So manche Räumungsklage wird verhindert, Kindern geholfen, Familien unter die Arme gegriffen. Einzige Bedingung: Die Hilfe ist immer mit Beratung verknüpft. Schobel: "Wir machen niemals Gießkanne."
Sogar Hartz-IV-Empfänger begeistern sich für Schobels Stiftung
Als die Firma Schlecker Pleite machte, richtete Schobel mit der Gewerkschaft Ver.di ruckzuck einen Fonds in Schobels Stiftung ein. Die Solidarität war groß. Zahlreiche Betriebe spendeten, Mitarbeiter verzichteten auf Weihnachtsgeschenke, sogar viele Hartz-IV-Empfänger gaben fünf oder zehn Euro. Das macht Schobel bis heute stolz. Im Lauf der Zeit zahlte der Fonds über 70.000 Euro an ehemalige Schlecker-Beschäftigte aus.
"Viel Feind, viel Ehr‘" - das scheint das Motto Paul Schobels zu sein. Immer legte er sich mit den Großen an, mit Gewerkschaft, Konzernen und Betriebsräten. Er streitet leidenschaftlich für seine Sache, lässt sich nicht vom Kurs abbringen. Kapitalismuskritik ist seine Lebenslinie. Auch mit seiner (Amts-)Kirche pflegt er - vorsichtig formuliert - ein distanziertes Verhältnis. "Aber an der Kirche arbeite ich mich nicht ab. Da gehe ich lieber meinen eigenen Weg." Er wird nur dann konkret, wenn es um die Kirche als Arbeitgeberin geht: "Sie lässt keine Gewerkschaften zu, nimmt den Beschäftigten ihre Rechte und widerspricht damit ihrer eigenen Soziallehre."
Ein Unbequemer, ein Querulant, ein Kritiker, ein Mahner - Paul Schobel ist vieles. Vor allem aber ist er ein Mann, der immer an der Seite von Menschen in all ihren Nöten sein will. Ein Seelsorger im besten Sinne.